Ich will frei und glücklich sein
(Live-Gespräch, Name geändert)
Andrea: Was mir bei mir immer mehr auffällt, ist, dass es kein Entkommen gibt. Da ist immer das Bedürfnis: „Ich will, dass es mir gut geht. Ich will glücklich sein. Ich will frei sein. Ich will erleuchtet sein.“ … und dann tue ich dies und das dafür, um vermeintlich frei zu sein: Ich hafte nicht mehr an dem an; ich kann meine Gedanken wahrnehmen und muss ihnen nicht mehr folgen; ich kann meine Emotionen wahrnehmen und muss ihnen nicht mehr folgen …
Da ist aber dann immer noch jemand, eine Person – also in dem Fall Andrea –, die dann vermeintlich etwas besser kann. Und das ist so hinterrücks, so trickreich, diese Person, die immer weiter sein will, und wenn sie freier ist und weiter ist und erleuchtet ist und was weiß ich alles … Meistens ist gar kein Bemerken darüber da, dass das wieder abläuft, weil man sich ganz toll dabei fühlt, ganz weit schon: „Jetzt habe ich es geschafft, ich habe keine Anhaftungen mehr, keine Erwartungen mehr, ich bin so frei…“
Aber es ist immer die Person. Und die Person kann nicht frei sein, die wird nie frei sein. Etwas, das nicht existiert, wie soll das frei sein?“
Dittmar: ... und wie soll das unfrei sein?
Andrea: Genau! Und trotzdem ist da ständig dieses persönliche Machen, permanent. Und ich bin da inzwischen an einem Punkt angekommen, wo ich echt aufgebe – wobei da auch wieder jemand ist, der es aufgibt. Das ist ja never-ending, das ist ja endlos! Und dann aber auch immer wieder die Erfahrung, wenn es aufhört. Wenn nur noch Sein ist und Punkt. „Okay, da ist jetzt der Fuß, und Punkt. Weiter nichts.“ Und dann ist klar, dass da auch nie eine Person war. Völliger Irrsinn! Völlige Illusion! Nur ein Traum! Da war auch nie jemand, der erleuchtet sein wollte. Ich weiß auch gar nicht, was Erleuchtung bedeuten soll, das ist ja völliger Quatsch! Was soll das überhaupt sein?! Und das kann die Person aber nicht machen, weil es die Person ja gar nicht gibt, wie soll die aufwachen können? Und so sitze ich da: Okay, ich bin eh da, das weiß ich mittlerweile – „Das weiß ‘ich’ mittlerweile“ –, dass ich immer da bin und nie weggehen kann und nie besser werden kann und nicht anders werden kann und nie nicht war und dass ich mir überhaupt keine Sorgen machen muss; es gibt nichts zu erreichen und nichts zu verlieren, denn ich bin einfach immer da. Immer, es geht gar nicht anders. Also dieses klare Wissen hat dann doch auch die Person irgendwie, und dann muss ich auch nichts mehr machen. Es ist völlig absurd! Wenn Aufwachen passiert, dann passiert es und dann ist es da. Das kann die Person nicht machen. Und deshalb habe ich, wie ich als Andrea jetzt hier sitze auch, habe ich irgendwie aufgegeben. Es ist eh wurscht, ich bin eh da, und ob jetzt Wolken davor sind und ich wieder am Rennen bin und dieses „Ich will, dass es mir besser geht, und das will ich nicht und das schon …“ – was soll ich machen damit? Da ist dann wieder die Person, die meint, sie muss Therapie machen und muss, muss, muss, damit sie freier ist und glücklicher ist und diese und jene Beschwerden nicht hat … und dann weiß ich überhaupt nichts mehr: „Wer bin ich denn jetzt? Muss ich Therapie machen? Ja, irgendwie schon, weil mir geht’s ja schlecht; ich will ja, dass es mir gut geht.“ Gut, dann probiere ich wieder irgendetwas aus, damit es mir besser geht. Und auf der anderen Seite ist dann: „Spinnst du jetzt?! Jetzt fummelst du wieder an etwas herum, was gar nicht wahr ist! Etwas das gar nicht ist, willst du verändern! Wie absurd ist das denn wieder?!“ Und in diesem ständigen Wechselspiel bin ich immer wieder hin- und hergerissen … bis es aufhört. Und wenn es aufhört, ist es wieder still. Keine Zeit, kein Raum …
Dittmar: Frieden.
Andrea: Frieden. Aber das kann die Person nicht machen. Es passiert. Kannst du etwas dazu sagen? Das ist der Verstand, der das wissen will. Wenn ich da bin, wenn ich wach bin, dann gibt es keine Fragen. Aber meistens bin ich halt im Verstand, und dann ist die Frage: Was mache ich jetzt? Ich weiß, da war mal diese Erfahrung und das stimmt alles nicht, aber trotzdem sitze ich wieder voll drinnen und mache Therapie.
Dittmar: Lass uns mal damit anfangen, dass du sagst: „Es gibt ja gar keine Person, das ist ja irgendwie klar.“
Andrea: Ja, das sagt mein Verstand jetzt. Das ist ja nicht gerade meine Erfahrung. Im Moment bin ich ja voll da, also als Person.
Dittmar: Im Moment ist etwas da. Und was ist das? Wenn man sagt: „Jetzt bin ich als Person da“, dann sind bestimmte Reaktionsweisen da, vielleicht ein Gefühl von Abstand zur Welt oder so, oder bestimmte Erinnerungen … Diese Erinnerungen können aber auch da sein, wenn du völlig klar in Frieden bist. Wenn wir uns in so einem Moment treffen und ich dich frage: „Wie heißt du? Wo bist du geboren?“, dann kannst du mir das beantworten. Also es ist nicht so, dass dann kein Zugriff wäre auf Erinnerungen und Gedanken ...
Andrea: Stimmt.
Dittmar: ... sondern „Person“ heißt einfach, dass man es persönlich nimmt. Und das ist schon der ganze Unterschied. Wenn du mich fragen würdest, wo ich geboren bin, dann könnte ich dir das in den meisten Fällen sagen. „Persönlich nehmen“ ist eine Art „ernst nehmen“ von den Gedanken, die da auftauchen, und den Reaktionen, die dann folgen. Zum Beispiel: „Ich habe bestimmte Erfahrungen und auf die lege ich Wert, und ich weiß, wo ich hin will“ und so weiter.
In diesen Momenten oder Stunden der Klarheit und des Friedens ist auch einfach klar, dass das nur Gedanken sind, und dass sie noch nicht einmal weg müssen. Sondern das „Wegmüssen“ wäre wieder nur ein Gedanke, der sagt: „Das muss aber weg, bevor es friedlich wird!“ Und in diesen Momenten, die man nicht machen kann, ist es einfach superfriedlich, weil alles so sein darf, wie es ist. Alles darf da sein, taucht auf und geht wieder, ja.
Und da ist der Wunsch, dass es dir gut geht, der ganz viel antreibt. Wo du sagst: „Therapie, damit es mir besser geht“. Lass uns mal diese zwei Sachen voneinander unterscheiden: Den Wunsch, dass es dir gut geht, und die Vorstellungen, was dazu passieren müsste.
Denn dieser Wunsch, dass es dir gut geht, ist ja einfach nur Liebe. Wenn du jemanden liebst, dann ist dir nicht egal, ob es ihm gut oder schlecht geht. „Die soll ruhig leiden.“ Sondern Liebe hat zu tun mit Wohlwollen. Da gibt es zum Beispiel diese Sehnsucht nach dem Frieden, der sich ja immer wieder mal zeigt. Und das Herz sagt: „Ja, das!“, und der Verstand sagt: „Aha, und jetzt weiß ich auch, wie ich da hin komme!“
Und das ist, was man dann Person nennt: Die Pläne vom Verstand, da hin zu kommen, wo das Herz ist. Und der Wunsch, dass es uns gut geht, wird nicht verschwinden. Ich will, dass es dir gut geht. Und du willst, dass es dir gut geht. Nur habe ich sehr wenig Vorstellungen, was dir gut tun würde. Und ich habe keine Vorstellung von Erleuchtung oder so. Aber ich habe ein Gefühl dafür, wie das ist, wenn du in Frieden bist, wenn du glücklich bist. Wenn du Liebe fühlst. Und was brauchst du mehr, um in Frieden zu sein, als Liebe zu fühlen?
Das einzige, was bisschen Schwierigkeiten macht, ist das Denken, das sagt: „Okay, aber davor brauche ich noch folgende Veränderungen, um das fühlen zu können, was ich in diesen Momenten immer schon gefühlt habe, wo es überhaupt keine Veränderungen gebraucht hat.“
Auch der Wunsch, dass es dir gut geht, muss nicht verschwinden. Er erfüllt sich nur sehr viel leichter, wenn er nicht an Vorstellungen gebunden ist. Sondern ich weiß, wo es mich hin zieht. Und der Verstand sagt: „Aber wenn es einen hin zieht, dann hat man das Gefühl, man ist noch nicht da“ und so weiter – aber es zieht einen in die Gegenwart! Das heißt nicht, dass dafür diese ganzen Gedankenmuster verschwinden müssen. Nein, sie können da sein und werden halt nicht persönlich genommen. Einfach: „Ja, es sind Gedankenmuster. Und da bin ich, und ich bin immer da, und ich brauche nichts. Und wenn ich wirklich fühle, dass ich nichts brauche, dann fühle ich mich frei, glücklich, voller Liebe.“ Und natürlich ist da der Wunsch, das wirklich zu fühlen, statt nur zu sagen: „Tja, man kann da eh nichts machen, dann fühle ich es halt nicht, na und?“ Das wäre ein Verleugnen von dem, wo unser Herz hin will, wo es zuhause ist, wo es jetzt ist!
Nur die Aufmerksamkeit kann davon weg gehen in irgendwelche Gedanken-Geschichten, die zum Beispiel sagen: „Nach der Therapie würde ich nicht mehr so reagieren, dann wäre ich ganz hier und jetzt!“ Und das heißt nicht „Mach keine Therapie“, so wie „Geh nicht zum Zahnarzt!“ Manchmal ist das eine wirklich gute Idee, statt zu sagen: „Aber hier und jetzt ist ja gar kein Zahnarzt da …“ und so weiter. Also es hat nichts damit zu tun, welche Pläne dann umgesetzt werden, so wie du einkaufst, wenn du heute Abend noch etwas essen willst. Es ist halt einfach nichts Persönliches, sondern Gedanken, Vorstellungen, und du weißt auch: Wenn du heute nicht einkaufen gehen würdest, dann würde das im Endeffekt auch nichts ändern, nur dass du halt nichts zu essen hättest.
Aber das Leben sorgt für dich als du. Nicht als jemand anders. Und der Verstand hat die Tendenz, bestimmte Wege herauszunehmen, wie für dich gesorgt sein müsste. Und dann erscheint es ziemlich theoretisch: „Okay, das heißt, jetzt ist es noch nicht gut genug oder jetzt bin ich noch nicht gut genug … Also bin ich eine Person, die noch wohin muss“ – statt: „Ja, bin ich: Aufmerksamkeit, Liebe, Freiheit … und Vorstellungen, was noch zu geschehen hätte, rauschen immer mal durch und werden manchmal ernster genommen, manchmal weniger ernst.“ Ernst / persönlich, das hängt für die meisten Menschen recht eng zusammen.
Und es gibt diese Erfahrungen, durch die du weißt, was wirklich stimmt, für dich nicht als Person, sondern als Leben. Nichts muss weg, nichts muss her, das ist schon da; und wenn die Aufmerksamkeit sich dem zuwendet, dann ist es richtig schön. Und manchmal fühlst du die Sehnsucht danach. Und das ist ein Zeichen dafür, dass irgendwelche Vorstellungen davon ablenken. Und dann kann man sagen: „Tja, ist halt so, die lenken halt gerade ab“, oder man kann sagen: „Oh, ich weiß, wo ich hin möchte!“
Wenn man mit einem Kind zu tun hat, und das Kind hat Angst vor einem Gespenst im Schrank, dann kann man sagen: „So ist halt das Leben, Kind hat Angst, tja, mein Gott.“ Oder man kümmert sich um das Kind: „Ja, da ist gerade dieses Gefühl.“ Und das Herz – um es mal so zu sagen –, das Herz kann sagen: „Da ist gerade das Gefühl, eine Person zu sein, und das heißt, Angst zu haben. Ich weiß, wohin es mich zieht, ich weiß nur nicht, wie ich dahin komme …“, und wir als liebevolle Aufmerksamkeit können verstehen, was da abläuft. „Ich verstehe das. Es ist, einem Gedanken Glauben zu schenken und das anzuzweifeln, was ich eigentlich wirklich weiß.“ Nicht weiß aus einer Erinnerung, nicht als Konzept, sondern da ist dieses Wissen, auf der anderen Seite der Sehnsucht.
Sehnsucht nach der Gegenwart. Und der Verstand sagt: „Aber Sehnsucht ist doch das Problem, denn dann erscheint es, als wäre es das noch nicht!“ und so weiter. Aber es ist die Sehnsucht danach, es wirklich zu fühlen! Und daran ist nichts verkehrt. Die Sehnsucht lässt sich auch wirklich erfüllen.
Und wann immer diese Angst oder diese Enge oder diese Sehnsucht gefühlt wird, ist das ein richtig guter Moment! Es ist nicht: „Ich sollte mich einfach damit abfinden“, sondern: „Ja, da ist diese Sehnsucht.“ Und wenn sie Aufmerksamkeit bekommt, findet sie auch ihren Weg. Aufmerksamkeit dafür, was gerade da ist. Egal, was es ist. Emotionen, Gedanken … Und diese ganze Sache, ob da eine Person ist, ist hinfällig, denn es ist klar, dass da Gedanken und Emotionen sind, keine Person.
Und gleichzeitig ist klar, dass da ein Organismus ist, denn man praktischerweise „Andrea“ nennen könnte. Wenn man ihn „Paula“ nennen würde, wäre es verwirrend, und wenn man ihn „Günther“ nennen würde, wäre es noch verwirrender. Also „Andrea“ ist schon okay.
Es ist im Endeffekt immer super einfach. Es ist nie kompliziert, es ist nie: „Nachdem ich mir diese Zwischenstufe erarbeitet habe …“, sondern immer super einfach. Und es ist kein „Wissen, das euch jemand vermittelt hat“, sondern ein Erkennen dessen, was du schon immer weißt. Oder?
Andrea: Ja. (Lange Stille)
Dittmar: Zum Beispiel jetzt. Das ist nicht wirklich in Worte zu fassen, oder? Und trotzdem ist da ein Bemerken. Das ist immer da. Ob Gedanken da sind oder nicht, das ist immer da. Wenn ihm Aufmerksamkeit geschenkt wird, ist es direkt fühlbar. Vielleicht nicht super intensiv, aber locker so intensiv wie dein Puls.
TN: Stimmt. (Lachen) Das stimmt! Das habe ich so noch nie gesehen!
Dittmar: Aufmerksamkeit geht oft dahin, wo es intensiv ist. Das kann ein intensiver Schmerz sein oder ein Presslufthammer vor dem Haus oder emotionale Intensität. Trotzdem ist der Puls klar fühlbar. Und je mehr Aufmerksamkeit dem geschenkt wird, desto klarer wird es auch.