
Ich, der Organismus
Hallo lieber Dittmar,
es ist eine Freude, bei den Treffen dabei sein zu können, und ich freue mich immer wie Bolle auf diesen Termin. Die Fragen die erscheinen und die Antworten die kommen, alles ist so echt, klar und ehrlich und erhellend.
Es fühlt sich alles intensiver an und trotz scheinbarer Unruhen von außen fühle ich mich innerlich stabiler. Da ist auf jeden Fall momentan auch mehr Energie da für alles. Irgendwas verändert sich. Die Gedanken, die auftauchen, haben keine Schwere (zurzeit), sondern sind mehr so klärend, und immer wieder taucht der Gedanke auf, dass das, was geschieht, genauso sein soll und richtig ist wie es ist. Auch dann, wenn ich es nicht verstehe. Mehr Ruhe, Gelassenheit …
Ich bin mir sicher, dass das mit deinen klaren Worten, dem Offensein für das, was durch dich gesagt wird, und die Fragen der anderen, die auch meine sein könnten, alles geschieht.
Gestern Abend habe ich auch noch eine Angst vor dem Nichtsein deutlich gespürt, die Angst vor dem Tod scheint also noch da zu sein.
Ist das bei dir auch noch so, oder ist da eine totale Annahme bzw. Gelassenheit? Eigentlich ist es dann doch wohl einfach nur ein Gedanke, der Angst macht, oder?
Liebe ..,
ich freue mich, dass du Ruhe und Gelassenheit erlebst!
Nein, Angst vor dem Tod habe ich gar nicht. Wobei ich mir gut vorstellen könnte, dass der Organismus auf eine lebensbedrohliche Situation mit viel Adrenalin reagieren würde, z.B. wenn nachts im Wald ein geisteskranker Axtmörder auf mich zu kommt … 😶 Wer weiß …
Und genauso könnte es bei dir sein, wenn dann wirklich mal Gevatter Tod vor der Tür steht, dass du ihn dann willkommen heißt und ihn friedlich und freundlich herein lässt. Wer weiß …
Und klar: Das sind alles nur Gedanken. Im Moment ist da ja kein Tod, sondern nur Leben …
Hallo lieber Dittmar,
Ich wollte mich mal für deine Antwort auf die Frage nach der Angst vor dem Tod bedanken. Sie hat mich sogar zum Lachen gebracht, da es so klar war bzw. wurde, als ich deine Antwort las. Klar, es kann alles passieren, Angst oder entspanntes Annehmen …
Trotzdem habe ich heute mal ein paar “andere” Fragen, die mir gerade so durch den Kopf schwirren und die ich dir gerne stellen würde – bestimmt hast du sie schon alle tausendmal beantwortet, aber das Verstehen und die Fragen tauchen halt gerade so auf. Ich habe Sorge, dass es sich bei meinem Verstehen “nur” um ein verstandesmäßiges Verstehen handelt, so dass noch irgendwas Wichtiges fehlen würde.
Habe einfach mal alles so runtergeschrieben:
Irgendetwas geschieht und man scheint darin unbewusst verwickelt, dann kommt ein Gedanke der sagt: “Hey, warum machst du das gerade so?” Und dann kommt der nächste: “Ha, da war ich wohl nicht aufmerksam genug” und der nächste: “Aber es gibt doch gar kein Ich, nur Gedanken”, und daraufhin entspannt sich etwas spürbar im Körper, aber nur solange wie dieser Gedanke anhält und abgelöst wird von einem anderen Gedanken, wie z.B.: “Mensch, ich muss ja noch einkaufen”, und schon ist es vorbei mit der Entspannung … Usw. usw.
Ein scheinbarer Ablauf von Gedanken und Handlungen, von niemandem, aus dem Nichts, bzw. sich von Moment zu Moment aus der jeweiligen Situation ergebend. Niemand da, der irgendetwas denkt oder tut. Selbst das Erkennen von dieser Tatsache geschieht irgendwie von alleine durch den aufkommenden Gedanken und die anschließende Überprüfung, auch wenn es sich hartnäckig so anfühlt bzw. denkt, dass ich da etwas tue oder denke. Es denkt und tut sich ja auch durch diesen Körper, und irgendwie hat dieses System ja gelernt, dass dieser Körper ich bin, und auch alles, was durch ihn geschieht, denkt und handelt, ich bin.
Ist alles also wirklich nur konditioniert und bedarf es somit nur einer Dekonditionierung? Ist das Erwachen dann nichts weiter als ein komplettes Dekonditionieren des Systems, so dass kein Ich mehr zurückbleibt und nur das pure Geschehen übrig bleibt?
Geschieht bei dir dann nur noch ein Benutzen des Wortes “ich” ohne einen fühlbaren Inhalt bzw. ohne den Glauben daran?
Dass alles, was geschieht, sich auf einem Hintergrund abspielt und eigentlich dasselbe ist, also eins, kann man als Mensch doch gar nicht verstehen können, oder? Das Erleben ist doch offensichtlich ein anderes. Als wäre es doch nur ein Glaube. Ein Glaube an einen unkaputtbaren Hintergrund, Urgrund oder wie man es auch immer nennen will, oder? Es gibt doch dann gar nichts anderes, was “ich” wahrnehmen oder sein kann, als das was, sich gerade so zeigt (für mich)? Es gibt nichts zu tun, nichts zu ändern und nichts zu verändern, da es mich nicht gibt, aber dennoch erlebe ich es (oder es sich) doch als scheinbares Einzelwesen. Oder ist das bei Dir anders???
Mir scheint, da gibt es echt einen Unterschied zwischen dem Verstehen und dem Sterben des scheinbaren Ichs. Ist das so?
Ich würde mich sehr über eine Antwort von dir freuen.
Danke für deine Fragen! Ich antworte dir sehr gerne.
• Du schreibst: “Dann kommt ein Gedanke, der sagt: …‘Ha, da war ich wohl nicht aufmerksam genug’ und der nächste: … ‘Mensch, ich muss ja noch einkaufen’, und schon ist es vorbei mit der Entspannung.”
Ist es denn wirklich das Wort “ich”, das zu Anspannung führt, oder sind es Begriffe wie “Nicht … genug” und “Ich muss noch …”? Die Vorstellungen, wie du sein oder erleben müsstest und was du machen müsstest?
• “Es denkt und tut sich ja auch durch diesen Körper, und irgendwie hat dieses System ja gelernt, dass dieser Körper ich bin, und auch alles, was durch ihn geschieht, denkt und handelt, ich bin. … Geschieht bei Dir dann nur noch ein Benutzen des Wortes ‘ich’ ohne einen fühlbaren Inhalt bzw. ohne den Glauben daran?”
Wenn ich das Wort “ich” benutze, dann meint der Organismus sich selbst. Die Lebendigkeit, die als dieser Organismus lebt. Ganz einfach.
Zum Beispiel könnte ich, der Organismus, einfach sagen: “Meine Hände sind schmutzig, ich gehe mich mal waschen.” – statt: “Diese Hände sind schmutzig, Gehen und Waschen geschieht … scheinbar. Für niemanden.” Wenn ich anfange so zu reden, erschieß mich bitte.
Das Wort “ich” ist ein praktisches Kürzel für den lebenden, denkenden, wahrnehmenden, sich bewegenden Organismus.
Und natürlich lässt sich dieser Organismus von seiner Umgebung unterscheiden, natürlich kann ich ihn von dem Stuhl unterscheiden, auf dem ich sitze, und von der Kleidung, die ich trage. Und in Gedanken kann ich ihn aus der Situation heraus lösen und damit aus dem Jetzt heraus lösen.
Diese Möglichkeit zu unterscheiden oder ihn gedanklich aus der Situation heraus zu abstrahieren behindert aber nicht das Erleben von Einssein und Ganzheit: Unterscheidung ist nicht Trennung.
Wenn du “deine” (ich weiß: das böse Wort!) Hand anschaust, dann siehst du einzelne Finger, wenn du sie mit diesem Filter betrachtest, der sie von der Hand und den anderen Fingern unterscheidet. Daran ist nichts verkehrt. Jeder Finger ist eine eigene Erlebniswelt, auf seine eigene Art lebendig. Wenn sich ein Finger verletzt, tut nur er weh, die anderen Finger nicht.
Und doch ist dieselbe Lebendigkeit in jedem Finger. Und wenn du einen Finger verlieren würdest, wäre dieselbe Lebendigkeit immer noch da, nur ohne Erleben und Bewegen dieses Fingers. Immer noch ganz und vollständig.
Dasselbe könntest du mit jedem einzelnen Finger überprüfen: Seine Fingerkuppe ist nicht das Fingergelenk oder der Fingernagel und doch können sie als ein einziger Finger erlebt werden, als eins ohne Trennung. Als Einheit in den Unterschieden.
Das Erleben des Jetzt ist als Ganzes da, das beinhaltet auch den Erlebenden.
Der Organismus ist keine tote Materie und nicht getrennt von mir, sondern pures Leben, dieses lebendige Zusammenspiel, dieses Gesamtgeschehen.
• “Dass alles, was geschieht, sich auf einem Hintergrund abspielt und eigentlich dasselbe ist, also eins, kann man als Mensch doch gar nicht verstehen können, oder? Das Erleben ist doch offensichtlich ein anderes.
Also wäre es doch nur ein Glaube. Ein Glaube an einen unkaputtbaren Hintergrund, Urgrund oder wie man es auch immer nennen will, oder? Es gibt doch dann gar nichts anderes, was ‘ich’ wahrnehmen oder sein kann als das, was sich gerade so zeigt (für mich)? Es gibt nichts zu tun, nichts zu ändern und nichts zu verändern, da es mich nicht gibt, aber dennoch erlebe ich es (oder es sich) doch als scheinbares Einzelwesen. Oder ist das bei dir anders???”
Glauben hilft da nichts. Da ist kein Hintergrund, keine Leinwand, keine Trägersubstanz … Aus all diesen Metaphern und Begriffen macht sich das Denken eine Vorstellung, die nur eine Vorstellung bleibt. Ein Etwas, ein Objekt, an das geglaubt werden kann.
Da ist nur diese Lebendigkeit. Sie ist völlig offen, sie kann nicht wie ein Objekt wahrgenommen werden. Aber sie kann ganz direkt erlebt werden, ganz ohne Gedanken und ganz eindeutig und klar. So erlebe ich sie.
Anders gesagt: Lebendigkeit erlebt sich, ohne Subjekt und ohne Objekt (oder, wenn diese Unterteilung stattfindet: als Subjekt und Objekt zugleich).
Und diese eine Lebendigkeit nimmt in allen Formen Gestalt an, bewegt sich als alles. Als Zusammenspiel der “Einzelwesen”, der Organismen. Frei von den Erscheinungen, frei in den Erscheinungen.
Auch als das Verstehen, dass du gerade andere Sinneseindrücke erfährst als ich, dass jeder Organismus eine eigene Erfahrungswelt darstellt, und dass das zum Zusammenspiel gehört wie verschiedene Klänge und Instrumente und Hörer zur Musik: Die Töne sind nicht “getrennt” in der Musik.
Da ist einfach nur das gegenwärtige Erleben, und die Gegenwart wird in all ihrer bunten Vielfalt als eins erlebt und geliebt. Dieses ganze Erleben ist Projektion des Bewusstseins durch Organismen.
Die Illusion, die Stress bringt, ist nicht der Organismus, sondern der Besitzer und Lenker des Organismus, der irgendwie vom Organismus getrennt dem (Er)leben gegenüber zu stehen scheint.
Das Denken nimmt solche Beschreibungen des Einsseins schnell mal als Vorgabe und versucht dann, diese anscheinend noch ausstehende Erfahrung anhand einer Vorlage zu konstruieren und herbeizudenken. Aber wenn das Erleben nicht dafür herhalten soll, Vorstellungen zu erfüllen, sondern sein darf, wie es ist, dann zeigt sich das Einssein von selbst. Denn wie du schreibst: Mit dem gedanklichen Verstehen hat es nichts zu tun. Aber “Sterben des scheinbaren Ichs” würde ich es auch nicht nennen, sondern eher Erwachen oder völliges Aufgehen im Jetzt.
Ich danke dir für deine Antwort und bin froh, dass ich dich wahrscheinlich niemals erschießen muss 😆, da du dich einfach klar und normal ausdrückst. Genau dafür “lieb ich dich” und deine Art zu reden, zu erklären und einfach zu sein.
Ich bin mir nun sicherer denn je, dass alles genau richtig ist so wie es ist.
Sicher auch, dass ich bei aufkommender Verwirrung lieber dich frage als sonst irgendwen und du mir durch deine Worte wieder zur Klarheit verhelfen kannst.
Gestern Abend habe ich mir mal wieder ein Video von dir und der Gruppe angeschaut / angehört, in dem es um Experimente im Bewusstsein ging – es war unglaublich. Ohne Konzepte war da wirklich fühlbar alles im Bewusstsein, so groß und weit und alles fand darin statt – Hören, Gedanken, Fühlen, Bilder usw. …