Erleben ohne Instanz?
Lieber Dittmar,
so oft höre ich davon, dass es ein deutliches Erkennen geben kann, dass es keine Instanz gibt (noch jemals gab), welche diese Erfahrung macht – also dass es niemanden gibt, der überhaupt irgendeine Erfahrung machen könnte! Ich kann das nicht verstehen. Irgendwie scheint’s da ein “Kennen” zu geben. Aber etwas wird erkannt ohne einen Erkennenden? Wird nichts erkannt? Ist es auch ein Spiel mit Worten?
Heißt “sich etwas bewusst” zu werden, sich jenseits des Klangs eines Wortes, dessen Bedeutung bewusst zu werden? Bedeutung entsteht doch nur im Zusammenhang mit einer Geschichte, zu der ich dann letztendlich einen Bezug habe. Also das Wort “Afrika” ist eigentlich nur ein Klang, wie etwa das Säuseln des Windes unter der Tür hindurch. Aber im Zusammenhang mit den Wörtern “Wüste, Schwarz, Armut, Lebensfreude, Tropen, Steppe, Elefanten, Löwen, Zebras, Krieg…” entstehen Bilder im Kopf, die sich zu einer Geschichte zusammenfassen lassen, oder einer Geschichte entstammen.
Damit verbunden sind Bewertungen und Gefühle, die dann einen Bezug zu mir herzustellen scheinen oder sogar überhaupt erst ein Ich “erschaffen”.
In dem Augenblick entsteht irgendwie ein Gefühl der “Ich bin hier – Afrika ist da”-Trennung, die durch den Bezug zu Afrika gleichzeitig entsteht und überbrückt werden soll. Mir schwirrt der Kopf, ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie das alles auftaucht, ohne einen Bezug zu einer Instanz in mir. Und gleichzeitig ist da nichts Greifbares außer Abstraktionen, die im Grunde nur ein Klang sind wie “[sein Name]”, der auch immer nur im Zusammenhang mit anderen Worten, also Gedanken und Gefühlen einen Sinn, eine Bedeutung erschafft. Ein Ich, das nur “virtuell” existiert und genau deswegen nicht begriffen werden kann, so wie “Feuer” als Wort nicht heiß ist …
Lieber …,
ich kann’s auch nicht erklären, weil es nicht zu verstehen ist.
Es ist eben kein Spiel mit Worten, weil Worte es einfach nicht erfassen können. In ihnen ist ja immer eine Subjekt-Objekt-Struktur vorgegeben; im Erleben nicht. Nur wenn der Verstand das Erleben mit Worten erfassen will, dann scheitert er. Aber das, wofür du dich – nicht nur in Gedanken, sondern im Gefühl – gehalten hast, kann wegfallen. Das, was das Erleben für sich beansprucht und auf sich bezieht, kann wegfallen.
Ja, ein Wort wie “Afrika” löst Assoziationen aus, Erinnerungen und Fantasien, die ein schillerndes Gesamtbild entstehen lassen. Das ist derselbe Mechanismus, der ein “Ich” real erscheinen lässt. Derselbe Mechanismus, der auch “Atlantis” oder “Blutehre” real erscheinen lassen kann, ohne dass irgendeine Realität dahinter stecken muss.
Das Ich ist nicht wirklich “jemand” und auch kein “Es”, sondern eine Gewohnheit: Gedanken und Gefühle, die sich auf andere Gedanken und Gefühle beziehen und dadurch ein solides Etwas, eine Art Substanz, ein Wesen zu bilden scheinen.
Was ist da ohne Worte, ohne Gedanken? Stille Unfassbarkeit, die in keiner Weise umgrenzt ist. In der alle Erscheinungen Ausdruck desselben sind. In der alles Ich ist, alles Du ist, alles Es ist … – in der diese Begriffe nicht greifen.
Also wie gesagt: Ich kann’s auch nicht erklären. Es ist frustrierend fürs Denken und ganz wundervoll fürs Herz.