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Die “Ich”-Vorstellung

Was in diesem Buch das “Ich” genannt wird, ist die Vor­stel­lung, vom Rest der Welt getrennt zu sein: ein eigen­stän­diges Wesen, das Ent­schei­dun­gen trifft und sie in die Tat um­setzt. Doch der Den­ker, Ent­scheider, Macher, für den wir uns hal­ten, exist­iert nur in Ge­dan­ken. Das “Ich” ist kein Wesen, sondern eine Akti­v­ität: eine Inter­pr­eta­tion, die alles Er­leben auf ein imagi­nä­res Zent­rum be­zieht. Dieses Zen­t­rum scheint allem “ande­ren” ge­gen­überzustehen.

Vom “Gegen­über”-Stand­punkt aus betrach­tet erscheint die Welt als Pro­blem. Wir sehen uns mit der Schwie­rig­keit kon­fron­tiert, dem Leben die Erfül­lung unse­rer Wün­sche ab­zur­in­gen: fest­zu­hal­ten, was das “Ich” stärkt, und fern­zu­hal­ten, was ihm nicht ins Kon­zept passt. Das “Ich” ver­spricht die Macht, das Leben wunsch­ge­mäß zu steu­ern. Aber der Preis für diese Vor­stel­lung ist, dass immer etwas zu feh­len scheint. Denn das “Ich” ist nur eine Fik­tion, und wenn wir uns auf eine Fikt­ion redu­zie­ren, dann füh­len wir uns unvoll­stän­dig und irgend­wie irreal.


Weil das “Ich” auf so wack­li­gen Bei­nen steht, ver­langt es viel Bestä­ti­gung und Liebe und ent­puppt sich über­haupt als sehr war­tungs­in­ten­siv. Es ist sein eige­nes Sor­gen­kind, stän­dig auf der Suche nach etwas “ande­rem”, das ihm Kraft und Sicher­heit ver­lei­hen könnte. Von der Erfül­lung seiner Bedin­gun­gen erhofft es sich das Ende sei­nes Lei­dens. Aber eigent­lich lei­det es unter der schein­ba­ren Tren­nung von allem “ande­ren”, die es nie über­win­den kann, weil es nur in der Illus­ion von Getrennt­heit und Eigens­tän­digk­eit besteht.

In der “Ich”-Vorstel­lung endet die Suche, wenn alle Wün­sche er­füllt sind. Aber hat das schon jemals funk­tio­niert? Wie lange dau­ert es, bis die Unzu­frie­den­heit wieder auf­flammt, die das “Ich” und damit die Suche in Gang hält? Es ist, wie wenn man einen Luft­bal­lon zusam­men­drückt: Die Luft darin ver­schiebt sich nur an eine andere Stelle. Wenn dieser Mecha­nis­mus durch­schaut wird, dann rich­tet sich die Ver­än­de­rungs­lust schnell auf das “Ich” selbst. Jetzt ver­sucht es, “bes­ser” zu wer­den (beson­ders spi­ri­tu­ell, beson­ders lie­bev­oll …) oder sich im Stre­ben nach Erleuch­tung sogar ganz auf­zu­lösen.


Aber wenn die Suche auch nur für einen Moment auf­hört, dann zeigt sich etwas Über­ra­schen­des: Was gesucht wurde, ist schon hier – die Prä­senz, in der alles er­lebt wird. Alle Bedin­gun­gen und Vor­be­halte, die ans Er­leben gekop­pelt waren, ver­lie­ren ihre Bedeu­tung, und die Gegen­wart, so wie sie gerade erscheint, wird als Erfül­lung erkannt. Die Liebe, die immer gesucht und meis­tens über­se­hen wurde, ist das Er­le­ben selbst! Nichts Be­son­de­res, sondern alles.

Aus dem Buch:
Problemzone Universum

Vorhang auf für die Ich-Vorstellung

Nondualität im Gespräch


von Dittmar Kruse
erhältlich als Taschenbuch


 

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