Akzeptanz leben
Hallo Dittmar,
bei mir läuft es recht gut. Allerdings gibt es auch immer wieder viele unangenehme Zustände, die da auftauchen. Aber ich lerne, auch diese zu akzeptieren, da auch sie erlaubt sind. D.h. eigentlich brauche ICH sie weder erlauben noch akzeptieren, denn wenn die Zustände auftauchen, sind sie ja bereits da und müssen demzufolge nicht mehr akzeptiert werden.🙂
Die Idee, dass unangenehme oder unerwünschte Gedanken und Gefühle NICHT da sein sollten (oder dürfen), macht eigentlich alles nur schlimmer. Wenn man eine gute Zeit hat und man sich wohl fühlt, versucht man natürlich mit allen Kräften, diesen Zustand zu erhalten (zu “konservieren”). Das funktioniert aber leider nicht. Wenn ein unangenehmer Zustand auftaucht, will man ihn so schnell wie möglich los werden. Auch das funktioniert nicht. Der Zustand bleibt, so lang er eben bleibt.
Ich merke, wie sehr man durch die jahrelange Suche und das viele Lesen von Spirit-Literatur, das Aufsuchen von Satsang-Lehrern usw. doch vollgestopft ist mit Vorstellungen, was das Erwachen angeht. Ich finde das auch bei deinem Gesprächskreis manchmal etwas schwierig, da ich spüre, wie sehr manche an diesen Vorstellungen hängen, dass nach dem Erwachen bestimmte Zustände nicht mehr aufzutauchen haben. Ich sehe da eine Weigerung, mit DEM umzugehen, was DA ist. Wie siehst du das denn?
Im Moment beschäftige ich mich kaum mit diesem ganzen “Erleuchtungskram”. Ich beobachte einfach das Leben. Von Moment zu Moment. Und ich sehe auch, wie die Gedanken immer wieder alles als “meins” in Besitz nehmen wollen. Dabei hat das alles im Grunde überhaupt nichts mit “mir” zu tun. Und es sind halt auch einfach nur Gedanken, die auftauchen und wieder verschwinden.
Herzliche Grüße
Liebe …,
das mit der Akzeptanz ist eine sehr interessante Frage.
Dass es kein “Ich” gibt, ist intellektuell sehr leicht zu verstehen – nur macht diese intellektuelle Einsicht (meiner Ansicht nach) sehr wenig Unterschied, sondern ist einfach nur eine neue Philosophie mit den üblichen Dogmen.
Ichlosigkeit wirklich zu erleben, das ist ein großer Unterschied. Das heißt erleben, was durch Ich-Vorstellungen verschleiert wurde: diese absolute, allgegenwärtige, unbedingte, bedingungslose Liebe, die sich als alles manifestiert.
Es fällt nicht wirklich ein “Ich” weg (das ja nie existiert hat), sondern der Glaube daran, die Gefühlsreaktionen, als ob es ein Ich gäbe – sowohl im “eigenen” Organismus als auch in den “anderen”.
Was bleibt, ist das ErLeben als ungeteiltes Ganzes mit allen Erscheinungen darin: Sinneseindrücke, Gedanken … Ein Erleben, dass alle Erscheinungen “innen” und “außen” Ausdrucksformen derselben liebevollen Lebendigkeit sind.
Diese eine Lebendigkeit in allem ist Liebe, Frieden, Freiheit, diese ganzen Hippie-Begriffe. Das ist meiner Auffassung nach das einzige, worauf es ankommt. Nicht intellektuelle Klarheit, sondern Liebe.
Zum Akzeptieren und zur Unnötigkeit des Akzeptierens: Ja, was erlebt wird, ist schon da und wartet nicht auf Akzeptanz. Und ja, Verbote und “Sollte”s machen einen Zustand eher schlimmer, verfestigen ihn eher.
Die Abwesenheit von “Sollte”-Denken bedeutet aber weder Resignation noch Passivität.
“Ich habe Hunger – mei, so ist es halt”, das ist ja nur dann sinnvoll, wenn es keine Möglichkeit gibt, an Essen zu kommen, oder wenn man fasten will. Im Normalfall heißt Akzeptanz nur das Wahrnehmen des Hungergefühls. Dann kann auf diese Wahrnehmung eine Handlung folgen, nämlich, etwas zu essen.
Oder “Ich habe immer wieder Rückenschmerzen – mei, so ist es halt” im Gegensatz zur (akzeptierenden, neugierigen, liebevollen) Erforschung, wo die Schmerzen sind, wann sie auftauchen (bei welcher Bewegung oder Haltung), ob es andere Bewegungsmuster gibt, die den Schmerz nicht auslösen, usw.
Durch (z.B. Feldenkrais-) Experimente lerne ich sinnvollere Bewegungsmuster und dadurch habe ich viel weniger Schmerzen als früher. Die Experimente beginnen mit “Akzeptanz”: mit Bewusstheit über eine Bewegung und wie sie sich anfühlt. Dann probiert der Körper Variationen aus, und wenn die sich besser = leichter anfühlen, übernimmt er sie. Vielleicht nicht sofort in jeder Situation, aber das Lernen des Neuen und Ablegen des Alten hat begonnen.
Wozu Zähne putzen, wozu Haare und Nägel schneiden, statt sie zu akzeptieren, wie sie sind? “Das Shirt passt mir nicht mehr / ist schmutzig / zerschlissen – naja, ich akzeptiere, dass ich es trage” ist nicht wahrer / freier / ichloser / akzeptierender als “… und ich lege es ab.”
Was für diese körperlichen Beispiele gilt, stimmt meiner Ansicht nach genauso für mentale Erscheinungen: Gedanken und Emotionen.
Manche alten mentalen Muster tauchen bei mir immer noch auf, vor allem Bedingungen, wie andere Leute mich behandeln sollten. Wenn so eine Bedingung verletzt wird (“He, rede nicht in so einem Tonfall mit mir, unterbrich mich nicht! …”), dann kommt Wut auf und die Aufmerksamkeit verengt sich aufs Durchsetzen der Bedingung. Ein Streit-Modus setzt ein, wodurch die Liebe und der Frieden, die sonst als Grundzustand da sind, in den Hintergrund des Erlebens geraten. Das fühlt sich schmerzhaft an. Und nicht wie ein klarer, eindeutiger Ausdruck von Liebe, Frieden und Freiheit, sondern wie Ärger, Kampf und Zwang.
Wenn ich schaue, wozu diese Bedingungen ursprünglich übernommen wurden, dann sehe ich, dass sie Liebe, Frieden und Freiheit versprochen haben, und dass die “Wehe-wenn!”-Mechanismen für die Durchsetzung der Bedingungen kämpfen, um Liebe, Frieden und Freiheit zu ermöglichen. Was sie erreichen wollen, ist genau das, was ohne Kampf schon da ist, und was im Kampf in den Hintergrund gerät.
Diese Bedingungen werden nicht von “mir”, von keinem “Ich” gestellt und sind auch nicht für den Organismus wichtig, sondern sie sind einfach nur konditionierte Vorstellungen, wie “es” sein sollte. Automatische Muster, wie Selbstschussanlagen. Und daher geht es nicht mehr darum, andere daran zu hindern, in die Lichtschranke zu laufen und die Selbstschussanlage auszulösen, sondern darum, die Selbstschussanlage zu deaktivieren.
Das ist keine Arbeit und keine Technik, sondern kommt von selbst durch die klare Erkenntnis, was die Anlage/Bedingung bringt (Stress) und was sie kostet (Frieden).
Ich will einfach lieber feiern. Das heißt nicht, dass immer alles lustig sein muss, es gibt ja auch Trauerfeiern. Meinem Vater geht’s z.B. grad ziemlich schlecht, da bin ich traurig und finde es völlig ok, sowohl was mit ihm geschieht als auch mein Gefühl dazu, das sehr friedlich ist. Aber Streit fühlt sich wie eine Unterbrechung der Feier an, unfriedlich, “unangenehm”.
Und wenn ich schaue, welche Zustände unangenehm sind, dann sind die immer die Reaktion auf eine Bedingung, deren Nichterfüllung “unannehmbar” scheint. Anders gesagt: Sie weisen auf einen einzigen Gedanken hin, der in vielen Formen behauptet: “Es soll anders sein.”
Wendet sich die Aufmerksamkeit von ihrer liebevollen, friedlichen Quelle ab, um diesem Gedanken zu dienen? Oder sieht sie ihn mit liebevollen, friedlichen Augen als die Verwirrung, die er ist? Sieht sie, dass das Ausagieren dieses Gedankens “Es soll anders sein” Schmerzen statt Freude bringt, dann hat der Gedanke keine Motivation, keine Energie mehr.
Es fühlt sich einfach so viel besser an, der Welt nicht vorschreiben zu müssen, wie sie sein soll, sondern sie frei zu lassen und dadurch frei zu sein! Nicht aus ohnmächtiger Resignation, sondern aus Liebe. Die Liebe gilt sich selbst, unabhängig von Erscheinungen. Und sie gilt dem Erscheinenden, frei von Bedingungen.
Das ist für mich ein neues / altes Kriterium, ob die Situation ein klarer Ausdruck von Liebe ist. Nach dem flashigen ersten Erleben, dass kein Ich und keine wirkliche Trennung existiert, und dass nichts dazu geschehen muss, um einen “Zustand der Ichlosigkeit” zu erreichen, war ich über Jahre fasziniert davon, dass auch das Stellen von Bedingungen und die daraus resultierende Wut, wenn sie nicht erfüllt sind, genauso Erscheinungsformen derselben Lebendigkeit sind. Das sehe ich immer noch so. Aber ebenso wahr ist, dass es im Leben keine Stagnation gibt und dass das Leben – vor allem in / als Menschen – immer weiter lernt und sich entwickelt. Dass es Behinderungen abstreift. Dass es alte Verhaltensweisen und Ausdrucksformen ablegt und schönere findet. Deshalb lernen Kinder einen immer größeren Wortschatz, immer mehr Fähigkeiten, immer geschmeidigere Bewegungsmuster. Deshalb lernen Menschen Musikinstrumente oder Yoga oder Tai Chi oder Knutschen. Schöne, freie Ausdrucksformen der Liebe und Lebendigkeit und Verbundenheit.
Dadurch wird keine “höhere Stufe” erklommen, sondern lernende Intelligenz lebt sich aus, sonst nichts.
Kleiner Nachtrag: Stellenweise habe ich in “So ist das”-Sprache geschrieben. Die Mail ist aber nicht als Empfehlung gemeint, nicht als allgemeingültiges “So soll es sein”, sondern als Beschreibung meines Erlebens, als Antwort auf die Frage, “wie ich es denn sehe”.
Liebe Grüße
Dittmar